Nadelöhr - Widdershausen aktuelles Projekt

Chronik Widdershausen
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Nadelöhr

Chronik 2 > Sagen
Das Nadelöhr zwischen Friedewald und Hönebach

Unmittelbar neben der alten Handelsstraße, die sich aus dem Werratal ins Fuldatal zieht, also zwischen Hönebach und Friedewald, steht ein gar seltsames steinernes Gebilde, das soge-nannte Nadelöhr.
Es ist ein torförmiger Stein mit einem pultartigen Dach, durch dessen Öffnung gerade ein Mensch hindurchkriechen kann. Um dieses Steingebilde ranken sich heute noch Sagen und Geschichten.
Erkundigt man sich bei den Anwohnern, so bekommt man eine Mär von einem entlaufenen Mädchen erzählt, welches sich vor langer Zeit an dieser Stelle sein Gewand mit Tannennadeln geflickt hat.
Nach einer anderen Überlieferung soll das Nadelöhr von einem Landgrafen errichtet worden sein, nachdem er an dieser Stelle seine Gemahlin wiederfand, die sich im Seulingswald, während der Herr Landgraf auf Jagd war, verirrt hatte und drei Tage gesucht worden war. Auch bei jener Erzählung wird berichtet, daß sie ihr zerrissenes Gewand mit Tannennadeln zusammengesteckt haben soll.

Eine dritte Geschichte erzählt ebenfalls, daß sich die Gemahlin des durchlauchtigsten Lan-desherrn, indes er sich auf Jagd befand, hier oben mit Näharbeiten beschäftigte, während sie auf ihren Gemahl wartete.

Die weiten Waldungen um das Nadelöhr, der Seulingswald, waren landgräflicher Besitz, und die Landgrafen zu Hessen weilten gern in diesem wildreichen Gebiet zur Jagd. Ausgangs-punkt und Sitz war das Wasserschloß in Friedewald' das heute noch mit seinen trutzigen Mauern und dem Wassergraben die Zeiten überdauert.

Aus einer alten Jagdzeitung stammt die Kunde, daß die Teilnehmer an den landgräflichen Jagden vor deren Beginn durch die Öffnung des Steines kriechen mußten. Wer nicht hindurch kam, wurde von der Jagd ausgeschlossen, denn der Landgraf wünschte keine stark beleibten Herren als Teilnehmer. Nach dieser Version hat erst Landgraf Moritz dieses steinerne Mal auf-stellen lassen - gleichsam als jagdliches ,,Lichtraumprofil" für ,,zulässiges Gesamtgewicht"?

Im Brunnemannschen Reisehandbuch ,,Werratal", das etwa um die Jahrhundertwende als Wanderführer Verbreitung fand, kann man über das Nadelöhr lesen: ,,Hier stand im Mittelalter eine hohle, unten gespaltene Eiche, durch welche zu kriechen die Waldbauern und Köhler alle Reisenden, die sich nicht durch eine Gabe lösten, zwangen, indem sie mit Prügeln nachhalfen.
Um nach Verfall des Baumes den Waldbewohnern ihr altes vermutlich einträgliches Gewohnheitsrecht zu wahren, ließ Landgraf Moritz einen durchlochten Stein an die Stelle setzen."
Im Buch ,,Aus Kurhessen'1 wird darüber geschrieben: .... - Im Sieling- oder im Söllinger Wald, wo sich die Straße aus Sachsen über Vacha nach Hessen zieht, steht ein großer, durchlöcherter Stein, genannt Nadelör, und Reisende, die zum ersten Male dieses Weges zogen, wurden von der Gesellschaft vormals gehänselt, das heißt, mußten entweder durch das Nadelör kriechen oder sich loskaufen."
Eine glaubhafte Geschichte berichtet, daß Fuhrleute, die die Straße, welche von Leipzig über Eisenach, Hersfeld bis Frankfurt führte, passierten und zum ersten Male an dem Nadelöhr vorbeikamen, ebenfalls hindurchkriechen und danach in einen Opferstock, der neben dem steinernen Nadelöhr aufgestellt war, ein Almosen legen mußten, das an das Hersfelder Waisenhaus abgeliefert wurde.
Das stille, großräumige Waldgebiet des Seulingswaldes ist landschaftl ich überaus reizvoll. Ei-ne alte Sage erzählt, daß sich die Schwesterflüsse Werra und Fulda bereits hier treffen woll-ten, denn zwischen Bebra und Berka ist die bequemste Stelle, aber der Teufel habe es nicht gewollt und seinen Fuß zwischen beide gesetzt. Sie mußten nun wieder auseinanderstreben und konnten sich endlich bei Hann. Münden vereinigen. Dieser Teufelsfuß ist der heutige Seulingswald.

Der Paß von Hönebach hat zu allen Zeiten eine bedeutende Rolle gespielt. Es war der niedrigste Übergang vom Werratal ins Fuldatal auf der Wasserscheide beider Flüsse, die sich hier auf etwa 10 km einander nähern.
Die darüberführende Straße wurde die ,,Kurzen Hessen" genannt. Sie diente vor allem den Kaufmannsfahrzeugen als bequeme Überfahrt von Hessen nach Thüringen. Aber auch eine andere auf dem Hönebacher Sattel abzweigende Straße, die sogenannte Flößholzstraße, muß hierbei erwähnt werden. Sie führte von Hönebach über Ronshausen nach Breitenbach an der Fulda und wurde von den Holzfuhrwerken, die aus dem Thüringer Wald kamen, befahren.
Schmalkalden im Thüringer Wald war seit 1360 zur Hälfte und seit 1583 ganz im Besitz der hessischen Landgrafen. Das Holz aus den schmalkaldischen Waldungen wurde im eigenen Lande genutzt. So wurde es von Schmalkalden in der nahen Werra hinabgeflößt bis Dankmarshausen, dort auf Holzfuhrwerke geladen, über den Hönebacher Sattel gefahren und bei der Ulfenmühle wiederum als Flöße der Fulda übergeben, die es dann bis Kassel beförderte. In der Nähe dieses Kreuzungspunktes der bedeutenden ,,Kurzen Hessen" und der Flößholzstraße stand auf der Paßhöhe das Nadelöhr. Hier entledigte man sich des Vorspanns und so ist es erklärlich, daß diese Stelle ein beliebter Rastplatz für die Fuhrleute und Reisenden war.
Es gibt im Hessenland noch mehrere Höhen, die bis auf den heutigen Tag Nadelöhr genannt werden, aber das Friedewalder Nadelöhr hat noch die stärkste Bindung an alte Überlieferungen.
Vergeblich versuchte der Landgraf, der ,,sonderlich zur Brunst nicht viel Klapperns vertragen konnte", nur die Straße der ,,Langen Hessen" als einzige amtliche Geleitstraße zu deklarieren, obwohl das Friedewalder Wasserschloß seinen Ursprung in einer Geleitskaserne für die ,,Kur-zen Hessen" hat. Die Kaufleute störten sich aber nicht daran, schlossen sich in Konvois zu-sammen und befuhren weiterhin die ,,Kurzen Hessen" durch den ,,Süllingswald", trotzdem der Landgraf sie in Friedewald überraschend durch ,,Püffe und Stöße verwarnen ließ".

Nun mag auf der Paßhöhe ein zwieselhafter Baum oder ein Baum mit einer Öffnung im Stamm, womöglich eine Eiche, gestanden haben. Die Fuhrleute schlüpften hindurch, um da-mit für weitere Fahrten Glück und Gesundheit zu erhalten.
Der Baum hat im Glauben unserer Vorfahren schon immer eine bedeutende Rolle gespielt. So galt die Weltenesche im germanischen Glauben als Achse der Welt, die Eiche war als Symbol der Stärke und Dauerhaftigkeit bekannt. Wenn ein solcher Baum noch dazu eine absonderliche Form hatte, wie hier zum Beispiel die Form eines Nadelöhrs, so wurden ihm besondere Heilkräfte zugeschrieben. Es hieß: wenn Leben durch Leben geht, dann würde das eine des anderen Krankheiten und Gebrechen wegnehmen. So wird der Glaube verständlich, daß der Mensch, der durch einen hohlen Baum kriecht, Leben und Stärke gewinnt.

Wie sehr der Baum in der Mythologie seit Urzeiten eine besondere Stellung hatte, die aus den germanisch-heidnischen Anschauungen in die christlichen Vorstellungen übernommen wurde, zeigt anschaulich ein oberdeutsches Gemälde eines unbekannten Meisters aus der Zeit zwischen 1530-1540, ,,wie die Auferweckten durch einen Baum wie durch ein Tor hindurch in das Ewige Leben eintreten, zu dem sie berufen sind".
Noch heute setzt sich dunkelahnend dieser alte Volksglaube fort, indem der, der durch das Nadelöhr kriecht, für das nächste Jahr gegen alle Krankheiten gefeit ist.
Als dann dieser alte, hohle Baum eines Tages umstürzte, wurde er womöglich 1561 ersetzt durch das heute noch stehende steinerne Nadelöhr.
Auf der Nordseite liest man: NADELÖR 1561, auf der Südseite stehen die Anfangsbuchstaben MLZH = Moritz Landgraf zu Hessen.
Wie die beidseitigen Einmeißelungen - die Jahrzahl 1561 und die Initialen MLZH - in ein Zeitverhältnis zu bringen sind, ist noch ungeklärt. 1561 regierte Landgraf Philipp der Großmü-tige, sein Enkel Moritz war zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren; dessen Regentschaft be-gann erst 1592 und endete 1627. Der unterschiedliche Schriftcharakter auf beiden Seiten des dachförmigen Steines läßt vermuten, daß das Denkmal zwar 1561 errichtet, aber erst zur Zeit Moritz des Gelehrten - vielleicht nach Instandsetzung oder durch Erneuerung - mit der damals üblichen landgräflichen Abkürzung MLZH bezeichnet worden ist.

Im Jahre 1894 wurde das Nadelöhr von drei Handwerksburschen, die wahrscheinlich ihre neu gewonnenen Kräfte ausprobieren wollten, beschädigt, kurze Zeit darauf aber wieder zusammengefügt.
Neben dem Nadelöhr steht der im Jahre 1747 errichtete Opferstock zugunsten der Hersfelser Waisenkinder. Mancher Besucher legt heute noch sein Scherflein hinein, wenn auch nur noch symbolisch. Die Inschrift lautet:

EIN OPFERSTOK VOR DIE WAEISENKINDER ZV HERSFELD - 1747.

Heute ist der alte Rastplatz fast in Vergessenheit geraten. Die alte Straße ist zwar neu asphal-tiert, aber wenig befahren, denn dicht vorbei führt die Autobahn Hersfeld-Obersuhl. Auf dem Mittelstreifen beim km 342,5 steht ein einsamer Findling mit der Beschriftung ,,Nadelöhr". Der relativ rege Verkehr zwischen Thüringen und Hessen, der sich auf der Straße der ,,kurzen Hessen" dereinst abwickelte, ist trotz der modernen Verkehrswege heute fast zum Erliegen gekommen. Der stille Seulingswald ist wieder eine Stätte der Ruhe geworden, denn nicht weit verläuft die deutsch-deutsche Grenze.

5025.V1 Friedewald
Kr. Hersfeld-Rotenburg
1K 5025 R 62360 H 42600
M.: 102/102/63
Öffnung: 65 1 60
St.: Auf dem höchsten Punkt der L 3069
Inschrift: NADELOR 1561/ M.L.Z.H.
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